Das dümmste Argument für Vorratsdatenspeicherung...

September 15, 2011 – tagged Politik, Datenschutz, SPD

...kommt aus der SPD. Auf Abgeordnetenwatch (Link gefunden in einem Spiegel-Online-Artikel von Sascha Lobo) wird Sebastian Edathy (MdB, SPD) gefragt, wie er denn zur Entscheidung des BVerfG zur Vorratsdatenspeicherung (1 BvR 256/08 vom 2.3.2010) stehe.

Sebastian Edathy antwortet wie folgt (ich zitiere in Auszügen):

Das Bundesverfassungsgericht setzt mit dem Urteil klare Grenzen für die Verwendung sensibler Daten. Die Speicherung ist damit zwar grundsätzlich möglich, aber nur unter Beachtung hoher Anforderungen. Dieses Urteil begrüße ich.
[...]
Was vom Bundesverfassungsgericht verworfen wurde, ist der Zugriff auf Datensätze zum Zwecke der Aufklärung minder schwerer Taten, die mittels der Telekommunikations-Nutzung begangen wurden. Das ist eine grenzwertige Frage, die in Karlsruhe nun entschieden wurde. Ich hielt es nicht für falsch, auch solche Fälle mit dem Gesetz zu erfassen.

Ich nenne Ihnen mal ein konkretes und reales Beispiel: Auf meinen Namen wurde vor ca. einem Jahr über das Internet bei einem recht bekannten Flensburger Erotik-Versand eine künstliche Vagina bestellt, über deren Eintreffen in meiner Privatwohnung ich sehr überrascht war. Ist es legitim, herausfinden zu wollen, ob der Besteller identifiziert werden kann? Ich meine: Ja. Das Versandhaus, das die Ware zurücknehmen musste, wurde finanziell geschädigt und ich belästigt. Zumindest zu versuchen, den Bestellungs-Urheber zu identifizieren, sah das Gesetz vor. Das Bundesverfassungsgericht sieht das anders. Damit kann ich leben, ohne mir deswegen zurechnen lassen zu müssen, ein schlechtes Gesetz mitverantwortet zu haben. Und das Beispiel mag ja noch eher erheiternd sein, aber haben Sie eine Ahnung vom Ausmaß des Betruges, der über das Internet erfolgt? Dieses ist groß!

Dazu Anmerkungen in zufälliger Reihenfolge:

  • „Ist es legitim, herausfinden zu wollen, ob der Besteller identifiziert werden kann? Ich meine: Ja.“ – Natürlich ist es legitim, herausfinden zu wollen, ob der Besteller identifiziert werden kann. Aber ist es auch legitim, herausfinden zu wollen, wer der Besteller ist?

  • Um einen solchen Fall aufzuklären, muss das Versandhaus lediglich in seinen Webserver-Logs diejenige IP-Adresse heraussuchen, von der die Bestellung getätigt wurde. Mit dieser Information können die zuständigen Strafverfolgungsbehörden dann vom jeweiligen Internetanbieter die Information einholen, welcher Kunde zu diesem konkreten Zeitpunkt im Besitz dieser IP-Adresse war, fertig. Diese Zuordnung (ip, timestamp) ↦ person hat nichts mit Vorratsdatenspeicherung zu tun, sondern ist ein völlig separate Sache; dieses Instrument wird tagtäglich zur Aufklärung von Urheberrechtsverletzungen und vielen anderen über das Internet begangenen Straftaten verwendet. Die anlassunabhängige Speicherung aller Telekommunikationsdaten aller Internetnutzer bringt in diesem Fall nichts an Mehrwert.

  • Herr Edathy offenbart mit seinem Beispiel einen Kontrollwahn, der ihn auch im Offline-Leben häufig vor Probleme stellen dürfte. Ein Beispiel: In jeder zweiten Ausgabe des SPIEGEL ist Werbung für seriöse Geschäftskleidung, die man mittels beiliegender Bestell-Postkarte bestellen und via Rechnung bezahlen kann. Wenn ich jetzt auf jede dieser Postkarten die Adresse von Herrn Edathy eintrage, ihm drei gut sitzende Hemden bestelle und die Karte einwerfe – was für ein Gesetz steht denn dann an?

    Ich habe hier mal die grundlegenden Regeln, die ein solches Gesetz vorgeben muss, skizziert:

    1. Verpflichtung von Postdienstleistern, sämtliche transportierten Postsendungen mit Absender, Empfänger und Datum in einer Datenbank zu speichern.

    2. Beförderungsverbot für Postsendungen, auf denen kein Absender eingetragen ist. (Der angegebene Absender muss allerdings nicht mit der versendenen Person identisch sein, das ist ja bei der IP-Adresse auch nicht notwendigerweise der Fall, Stichwort Proxy.)

    3. Diese Datenbank kann durch Strafverfolgungsbehören auch bei minderschweren Straftaten sowie Ordnungswidrigkeiten abgefragt werden. Laufende Ermittlungen richten sich ab diesem Zeitpunkt gegen den auf der Postsendung eingetragenen Absender als Hauptverdächtigen.

      Falls das BVerfG wieder völlig unerwartet entscheiden sollte, dass hier evtl. Grundrechte der Bürger verletzt sein könnten, habe ich das eben unterschiedlich interpretiert, ohne mir deswegen zurechnen lassen zu müssen, ein schlechtes Gesetz mitverantwortet zu haben.

Ja, das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein. Ist er auch nicht; da muss man nur die ganzen Kiddies fragen, die wegen Filesharing Post vom Anwalt bekommen haben. Aber es kann auch nicht sein, dass im Internet Regeln gelten sollen, die in der Offline-Welt offensichtlich gegen Grundrechte verstoßen.