Entrepreneurship Summit 2011

October 31, 2011 – tagged Gesellschaft, Berlin, Unternehmertum

Am vergangenen Wochenende fand an der Freien Universität Berlin der Entrepreneurship Summit 2011 statt. Einige Eindrücke.

Personal

Die Veranstaltung war sehr gut besucht; ca. 1.500 Gründungswillige, bereits Gegründete, Berater und Geldgeber tummelten sich im Henry-Ford-Bau und besuchten Vorträge, Podiumsdiskussionen und trafen in Impulsgruppen zusammen. Prominentes Personal auf der Bühne (in keiner bedeutsamen Reihenfolge):

Nachhaltig in Erinnerung bleiben wird mir hier wohl der Auftritt von Lars Hinrichs. In Kleidung, die nicht am Entferntesten an einen High-End-Unternehmer erinnert (braune Cordhose et al.), wollte er eigentlich über sein neues Projekt HackFwd reden; offenbar war aber eigentlich ein Interview mit Günter Faltin vorgesehen, das dann auch stattfand. Und so stand er, in lässiger Haltung, da auf der Bühne, erzählte seine Geschichte („Ich habe 30.000 EUR investiert und 48 Millionen rausbekommen, das ist doch mal ein Return on Investment!“, „Warum sollte ich einen Plan B machen? Dann würde ich ja glauben, dass mein Plan A nicht funktioniert, warum sollte ich das tun? Ich setze Plan A so gut um, wie es geht; wenn das nicht klappt, mache ich einen neuen Plan A.“), das Publikum war amüsiert und er wird auch ein ganz vernünftiges Honorar erhalten haben.

Schwerpunkt: Social Entrepreneurship, Faltin, Jobs

Nach meinem Eindruck ging es in diesem Jahr in einem besonderen Maße um Social Entrepreneurship, also ein unternehmerisches Engagement, das dort einspringt, wo der Staat seine Fürsorgepflicht gegenüber den Bürgern vernachlässigt. Um einen Polemik-Gang runter zu schalten: Es geht hier im Allgemeinen auch um ressourcenschonende Produktionsprozesse, nachhaltige Entwicklung, Lösung gesellschaftlicher Aufgaben etc. In diesem Kontext wurde auch (für eine Wirtschaftsveranstaltung) erstaunlich oft davon gesprochen, dass das von der Politik ständig propagierte Ziel des exponentiellen Wirtschaftswachstums so nicht mehr funktionieren kann, so beispielsweise im Vortrag von Klaus Wiegandt mit dem Titel: „Über die Notwendigkeit der De-Materialisierung unseres Konsums“ (siehe hierzu auch Meinhard Miegel: Exit – Wohlstand ohne Wachstum*).

Günter Faltin hat in seinem Buch Kopf schlägt Kapital* das Konzept „Gründen mit Komponenten“ vorgestellt und vertritt die These, dass jeder ein Entrepreneur sein kann. (O-Ton Faltin: „Wer ‚Unternehmer‘ sagt, der hat es nicht richtig verstanden; der lebt in der Vergangenheit und hat nicht verstanden, was mit Entrepreneurship gemeint ist, wir brauchen hier ein neues Wort!“) Das Verwenden von Komponenten nimmt eigentlich altbekannte Werte der Softwaretechnik (Wiederverwendbarkeit, Vermeidung von doppelter Arbeit, Modularisierung, Arbeiten mit Schnittstellen) und wendet diese auf die Prozesse innerhalb eines Unternehmens an (z.B. Finanzbuchhaltung, Lagerung und Versand, Bürodienstleistungen). Dies stellt – zumindest in der Anfangsphase – unbestreitbar eine Arbeitsentlastung dar und hat den Vorteil, dass häufig nur dann Kosten entstehen, wenn auch Umsatz gemacht wird.

Andere Thesen von Faltin (dessen Leistungen ich hier überhaupt nicht schmälern will!) bleiben jedoch von allen Akteuren unwidersprochen, was zumindest in Teilen etwas befremdlich ist. Ja, mit seinem Buch und ein bisschen Kreativität kann jeder ein Entrepreneur werden. Aber nicht alle – Deutschland kann nicht aus 80 Millionen Entrepreneuren bestehen! Sonst könnte ich niemanden einstellen, ich könnte von niemandem Komponenten anmieten, denn irgendwo muss ja schließlich auch jemand die Arbeit erledigen! Und es gibt eine ganze Menge Gründungsideen, für die braucht man eben doch Startkapital, muss forschen, experimentieren, implementieren – und ich würde mich sogar so weit aus dem Fenster lehnen, zu sagen, dass wir für den Standort Deutschland von dieser Sorte Gründungen sogar mehr brauchen als noch mehr von der Sorte Teekampagne, Weinkampagne, Olivenölkampagne, Laktasekampagne, ...

Eine weitere Sache, die mir unangenehm aufgestoßen ist, ist das ständige Huldigen von Steve Jobs als dem Vorzeigeunternehmer. Jeder, der einen Satz mit „Und der, der das genau so gemacht hat, ...“ begann, hörte mit „Steve Jobs“ auf. Ja, Steve Jobs hat die Welt verändert und unseren Umgang mit Technik revolutioniert. Aber 1. dass gerade für einen „Social Entrepreneur“ eine Ausbeutung der Arbeiter in China, wie Apple sie praktiziert(e), kein Maßstab sein kann, sollte dabei auch gewürdigt werden und 2. es nervt einfach irgendwann.

Highlight (bzw. Lowlight) bei der Apple-Huldigung war der Vortrag von Dr. Gerhard Huhn. Der Vortrag begann mit diesem Video („For my 1 year old daughter, a magazine is an iPad that does not work. It will remain so for her whole life. Steve Jobs has coded a part of her OS.“); als es später um Ordnung und Struktur ging, tauchte völlig unvermittelt eine Folie mit einem MacBook-Foto auf und den Abschluss des Vortrags bildete ein Zusammenschnitt aus dieser Apple-Werbung und einem Tribute-to-Steve-Jobs-Video.

Spiritualität & Esoterik

Der Unternehmer geht, zumindest in Deutschland, nicht den „normalen“, nicht den vorgezeichneten Weg eines Angestellten oder Beamten, sondern er begibt sich bewusst in eine Nicht-Standard-Position. Häufig passiert dies aus einem Mangel an Fähigkeit/Willen, sich unterzuordnen, einem gewissen Selbstverwirklichungsdrang oder dem Wunsch, etwas in der Welt zu verändern. Der Gründer wird, wenn auch vielleicht nicht von anderen, dann wenigstens von sich selbst, häufig mit einer Sinnfrage konfrontiert: Warum machst du das, was willst du erreichen, was bist zu bereit zu opfern? Dies und die umfangreichen Anforderungen an Gründer und Firmenlenker führen dort nach meiner Erfahrung häufig zu Selbstreflexion, besonderem Interesse an Persönlichkeitsentwicklung etc.

Auf dem Entrepreneurship Summit habe ich festgestellt, dass 1. die Grenzen zwischen Persönlichkeitsentwicklung und Esoterik anscheinend fließend verlaufen und 2. diejenigen, die im Beruf, in der Wirtschaft, auf einem hohen Level Unternehmen beraten, gründen und steuern, offenbar häufig auch eine gewisse Spiritualität erkennen lassen. In einer Impulsgruppe mit dem Titel „Woher kommt die Energie zum Gründen“ wurde Geradesitzen und viel (möglichst „energetisch aufgeladenes“) Wasser trinken als die schon fast allein ausreichende Methode genannt, um immer genug Kraft für den Alltag zu haben, „da brauchen Sie keine anderen Workshops mehr, das läuft alles ganz von allein dann!“ Yoga sei ansonsten noch sehr empfehlenswert; der Vortragende, Eberhard Wagemann, ist selbst im Himalaya zum Yoga-Lehrer ausgebildet worden und hat darüber auch ein Buch veröffentlicht.

Hätte ich als Humbug abgetan, aber neben einer erfolgreichen Tätigkeit als Berater, Wirtschaftsprüfer und Unternehmenssanierer ist er eben auch 100-facher Marathonläufer und 14-facher Ironman – scheint also wirklich über gut gefüllte Energiereserven zu verfügen...

In einer späteren Impulsgruppe mit dem Titel „Entrepreneurship and Personal Development“ trug Mariana Bozesan über die Recherchen zu ihrem Buch (bzw. ihrer Dissertation) „The Making of a Consciousness Leader“ vor. Dafür hat sie 16 frühere „top business executives“ und heutige „consciousness leaders“, also „people who have evolved to postconventional levels of interior development and are engaged in globally sustainable wealth creation for the benefit of all“, befragt und untersucht, wie die Entwicklung zum consciousness leader vor sich ging. Sie beschrieb (ich habe mir, zugegeben, die Dissertation nicht noch einmal zum Zwecke der besseren Wiedergabe komplett durchgelesen), wie ausnahmslos alle untersuchten Personen folgende Dinge gemeinsam haben:

  1. Es handelt sich um hochintelligente Menschen.
  2. Nach einer gewissen Zeit in einer Top-Position stellen sich zuerst physische Leiden (Übergewicht, Rückenschmerzen, Herz-/Kreislaufbeschwerden) ein.
  3. Später kommen psychische Probleme (Sinnfragen, Depressionen, das Gefühl des seine-Zeit-vergeudens) hinzu.
  4. Es kommt zu exceptional human experiences (außerkörperliche Erfahrungen, Nahtoderfahrungen, ...)
  5. Die Person wendet sich von ihrem bisherigen Leben ab und neuen, sinnstiftenderen, „besseren“ Aufgaben zu.

Ich kann und will das wissenschaftlich nicht bewerten. Spätestens dort fiel mir aber auf, dass viele Top-Manager/Entrepreneure/Performer offenbar fast zwangsläufig ab einem gewissen Niveau ihre Energie und Motivation aus einer gewissen Spiritualität heraus zu gewinnen scheinen. Es fiel mir aber auch auf, dass man vielleicht etwas auf der Hut sein sollte, dass man sich auf dem Weg durch die Softskill-Kurse und Personal-Development-Workshops nicht irgendwann in einem Scientology-Seminar wiederfindet – wie gesagt, die Grenzen sind fließend...

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