ARD-Dokumentation: Schülermobbing im Internet

September 11, 2011 – tagged Fernsehen, Datenschutz, Recht

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Gerade in der ARD-Mediathek entdeckt: ARD-exclusiv: Stille Gewalt - Schülermobbing im Internet: „Chantal, 17, lässt ihre Mobbing-Geschichte nicht los. Anfangs wollte sie einfach nur dazu gehören: Sie stellte ihr Profil bei Schüler-VZ ein. Die Möglichkeit, übers Internet zu klatschen und zu flirten, fand sie klasse. Bis sie plötzlich eine zweite Seite über sich bei Schüler-VZ fand.“

Kurzfassung: Jemand hat für Chantal eine unangenehme Fake-Seite erstellt, auf der sie wüst beschimpft wird. Sie meldet das an SchülerVZ und es dauert mehr als drei Tage, bis die Seite entfernt wird. Bei der örtlichen Polizei scheint man von dem Phänomen Internetmobbing (angeblich!) noch nichts gehört zu haben – der Fall selbst ist offenbar von 2009 –, Chantal und ihre Eltern schalten eine Anwältin ein, um SchülerVZ zur Verantwortung zu ziehen, weil das Entfernen zu lange gedauert hat. Am Ende unterzeichnet SchülerVZ kurz vor Prozessbeginn eine Unterlassungserklärung.

In dem Bericht wird gezeigt, wie Chantal gegen die VZ-Netzwerke vorgeht und versucht, sie dafür haftbar zu machen, dass jemand sich als sie ausgegeben und unwahre Dinge verbreitet hat. Von mir aus können die VZ-Netzwerke auch dazu verpflichtet werden, in einem Zeitraum von ε Minuten nach Meldung „offensichtlich verunglimpfende“ Inhalte (im Fall Chantal beispielsweise, dass sie lesbisch sei; das soll mal einer als verunglimpfend erkennen...) zu entfernen – zumindest bis der erste sich beschwert, dass sein richtiges Profil gelöscht wurde ;-) – aber dafür, dass es Leute gibt, die solche Inhalte erstellen? (Ist eigentlich ein Pinnwandbetreiber dafür haftbar zu machen, dass jemand dort Dinge mit strafbarem Inhalt aufhängt?) Natürlich weiß keiner, was in dem Brief und der Unterlassungserklärung von Chantals Anwältin genau stand, aber man kann sich auch so vorstellen, warum die VZ-Netzwerke einem Gerichtsprozess eher ausweichen wollten.

Man stelle sich mal vor, ein Gericht würde entscheiden, dass SchülerVZ dafür verantwortlich ist, was Mitglieder dort anonym posten... man könnte durchaus nachvollziehen, wenn die Geschäftsführung sich wahlweise den Strick nimmt oder den Laden dicht macht und mit dem verdienten Geld in die USA auswandert, um dort nochmal von vorn anzufangen. (Gibt es eigentlich ähnliche Fälle bei Facebook?) Ich mag diesen ganzen Laden tatsächlich nicht – und der Jugendschutzbeauftragte von SchülerVZ Gröschel ist sich echt nicht zu blöd, auf einer Veranstaltung mit dem Titel „Das Ende der Privatheit“ zu sagen: „Alle Anwesenden, ich vermute, die sind so etwa im Alter meiner Eltern: Ich hoffe, Sie schaffen es in den nächsten Tagen, sich auch manchmal daran zu erinnern, wie Sie ihre Lederjacke angezogen haben und zum Beatles-Konzert gegangen sind und wie fürchterlich sich Ihre Eltern darüber aufgeregt haben [...] so funktioniert das eben mit den Jugendlichen“ – aber aus Unternehmersicht können die einem manchmal echt leid tun, hier in Deutschland.

Im Film werden auch zwei Mädchen, die selbst solche Hate-Profile erstellt haben, befragt, wieso sie so etwas gemacht haben. Mit schonungsloser Offenheit erzählen die beiden, wie sie die Anonymität im Netz nutzen, um andere anzuschreien, zu beleidigen, wie sie gerade Lust haben. Eines der Mädchen erzählt, wie sie ein Fake-Profil für eine Mitschülerin erstellt hat, die sich an ihren Freund herangemacht hat. „Zum Schluss wurde sie so fertiggemacht, dass sie dann von der Schule gegangen ist. Und das wollte ich ja damit erreichen, sie... fertigmachen.“ „Es war angenehm für mich, zu sehen, wie sie darunter gelitten hat.“
Das ist harter Stoff. Und ja, so etwas hat es bestimmt zu jeder Zeit gegeben, aber nicht immer haben sich Gerüchte innerhalb von Minuten in der ganzen Schule verbreitet und nicht immer war man auch gezwungen, seine ganze Geschichte in eine potentiell neuen Schule mitzunehmen.

Kurzer Exkurs technischer Natur: Im neuen Personalausweis (nPA) gibt es die sogenannte Pseudonymfunktion. Damit ist es möglich, sich bei einem entsprechend unterstützenden Online-Dienst zu registrieren und anzumelden, und zwar so, dass

  1. der Dienst weiß, dass es sich um (genau) eine real existierende Person handelt,
  2. die eigene Identität dem Dienstbetreiber nicht offengelegt wird,
  3. gewisse Eigenschaften wie „wohnt der Benutzer in Berlin“ oder „ist der Benutzer über 18 Jahre alt“ abgefragt werden können, ohne Wohnort oder Alter an den Dienstebetreiber zu übermitteln,
  4. es selbst bei Zusammenlegung der Datenbestände zweier Dienstebetreiber nicht möglich ist, korrespondierende Accounts/Pseudonyme zu finden.

Diese Funktion, in die offenbar jede Menge Gehirnschmalz investiert wurde, dient der Anonymität im Internet, anstatt sie zu verhindern – man weiß nicht, ob das allen Politikern, die den nPA propagieren, so klar ist. Gleichzeitig sorgt sie aber für ein ganz neues Maß an Verbindlichkeit, weil man in jedem Dienst als eine Person auch nur in einer Rolle agieren kann. Man könnte sie bspw. dazu verwenden, zu verhindern, dass jemand einen zweiten Account im SchülerVZ anlegt, einen nPA für Schüler vorausgesetzt. Niemand ist gezwungen, seine wahre Identität offenzulegen (obwohl dann, zugegeben, die Nutzung eines sozialen Netzwerks nur mäßig sinnvoll ist), aber man kann in jedem Fall nur einen Account pro Personalausweis anlegen. Das scheint mir doch mal ausnahmsweise eine gute technische Lösung für ein soziales Problem zu sein...