Welches Ziel hat Angela Merkel in der NSA-Affäre?

October 28, 2013 – tagged Politik, Datenschutz

Seit Juni wird Deutschland von den Enthüllungen Edward Snowdens umgetrieben. Die deutsche Bundeskanzlerin hat sich dazu in den ersten Monaten fast gar nicht geäußert und ihre Minister vorgeschickt, die Affäre kleinzureden, zu beschwichtigen und sich von einem amerikanischen Geheimdienst, der das eigene Parlament belügt, mündlich und schriftlich versichern zu lassen, dass es gar keinen Grundrechtsbruch gibt.

Was soll sie auch anderes tun?

  • Über die Spionage unserer eigenen Geheimdienste weiß ich wenig, aber irgendetwas wird ein Bundesnachrichtendienst, der diesen Namen verdient, im Ausland wohl auch tun. Um da nicht von den amerikanischen Partnern zurecht der Heuchelei bezichtigt zu werden, sollte man wohl eher etwas leise treten.
  • Der Austausch zwischen BND und NSA läuft offiziellen Bekundungen zufolge ganz hervorragend. Insbesondere wird der BND wohl auch Daten erhalten, die die NSA in Deutschland gesammelt hat, und die er selbst hier nicht abfangen darf. Die NSA arbeitet ja denn auch von deutschem Boden aus; erwähnt sei hier auch der Neubau in Wiesbaden.
  • Nicht zu vergessen, dass die Regierung selbst uns ja auch in großen Teilen zu überwachen versucht, Stichwort Vorratsdatenspeicherung.

Diese Bundesregierung hat ergo überhaupt kein Interesse daran, den deutschen Bürgern eine private, abhörsichere Kommunikation zu ermöglichen.

Und nun platzt die Bombe: Das Merkel-Handy wurde auch über Jahre hinweg abgehört.

Plötzlich ist die Bundeskanzlerin wütend wie selten zuvor, telefoniert mit US-Präsident Obama, lässt den amerikanischen Botschafter einbestellen und ihren Pressesprecher und ihre Minister verbal scharf gegen die USA schießen. Die EU sind so einig wie nie und geben Deutschland und Frankreich – dem „alten Europa“ des Donald Rumsfeld – freie Hand, Barack Obama zu zeigen, was eine Harke ist.

Für einen ganz kleinen Moment sah man einen Silberstreif am Horizont.

Aber was ist das Ziel der Bundeskanzlerin? Man mag Angela Merkel viel unterstellen; Ideenlosigkeit, Pragmatismus bis zur Unerkennbarkeit, einen fehlenden politischen Kompass – aber sicherlich keinen Mangel an Intelligenz und auch sicher keinen Mangel an Machtgespür. Was will sie also? Wie sieht im Kopf von Angela Merkel die Welt nach dem NSA-Skandal aus? Unter Betrachtung der ganzen „Druckmittel“, die jetzt erwogen werden – Kündigung des Swift-Abkommens, Aussetzen der Verhandlungen zum Freihandelsabkommen, etc. – wohin soll dieser Druck führen?

Sicherlich wird Barack Obama gerade vorgeführt als jemand, der Verbündete abhört; nicht nur die Bürger, allesamt unter Terrorismus-Generalverdacht, sondern auch die Regierungschefs – von denen jetzt, bei aller Kritik, sicher in Bälde kein Attentat zu erwarten ist. Aber, unter keinen Umständen werden die USA die Überwachung potentieller Terroristenkommunikation deswegen einstellen. Das weiß Angela Merkel und das kann sie auch überhaupt nicht wollen, wie oben dargelegt. Vielleicht drückt sie deswegen bei den EU-Verhandlungen zum Datenschutz ja auch etwas auf die Bremse.

Eigentlich kann sie nicht viel mehr als ein Abkommen (auf EU/USA- oder NATO-Ebene) erwarten, das festlegt, dass das Abhören von Regierungen (nicht: Bürgern) unter verbündeten Staaten ein Tabu ist. Andererseits wissen inzwischen auch alle, dass solche Abkommen teilweise das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben sind.

Und nun liest man heute, dass sich die Bundeskanzlerin wohl schon länger für einen Platz in der sog. „Five Eyes“-Allianz interessiert; dem Bündnis, das mit Echelon schon seit 2001, mit Programmen wie Prism und Tempora dann seit Mitte diesen Jahres unrühmliche Bekanntheit erlangt hat. Spiegel Online schreibt:

Die Kanzlerin schien nach Einschätzung von Teilnehmern weit interessierter am "Five Eyes"-Abkommen, in dem die USA, Großbritannien, Australien, Neuseeland und Kanada organisiert sind. Dieses exklusive Abkommen, 1946 zwischen London und Washington begonnen, sieht vor, dass Verbündete erster Klasse einander nicht ausspionieren, sondern Informationen und Ressourcen teilen. Premier Cameron rechnete in Brüssel seinen Kollegen vor, wie viele Terrorattacken durch erfolgreiche Geheimdienstarbeit verhindert worden seien.

Merkel sagte: "Anders als David sind wir ja leider nicht Teil dieser Gruppe." Die "New York Times" berichtete, dass Deutschland sich seit Jahren um Mitgliedschaft bei "Five Eyes" bemüht habe, aber auch von der Obama-Regierung abgewiesen worden sei. Das könne sich nun ändern.

Oha.

In meiner dystopischen Vorstellung hat sich Deutschland mit der Show, die wir gerade erleben, seinen Platz in der „Five Eyes“-Allianz erpresst, der Bevölkerung wird das dazugehörige No-Spy-Abkommen als Erfolg im Datenschutz präsentiert und NSA und BND machen sich gemeinsam daran, die Welt vor dem Terrorismus zu beschützen. Jetzt noch den Parlamentsvorbehalt zum Bundeswehr-Auslandseinsatz aufgehoben, dann ist alles gut.

Das klingt alles, muss ich zugeben, reichlich wahnsinnig – und ich drücke die Daumen, dass das nicht im Kopf von Angela Merkel vorging, als sie Barack Obama anrief...