friendica: Ein verteiltes soziales Netzwerk
Wie kürzlich in einem Artikel von Sascha Lobo beschrieben, liegt ein Problem der zunehmenden Nutzung von Facebook für Kommunikation nicht nur im Datenschutz, – wer hat Zugriff auf meine Daten und was macht er damit? – sondern auch in der Datenverfügbarkeit – wer stellt die Erreichbarkeit meiner Daten sicher? Wer heute das Aufwachsen seiner Kinder in Fotos bei Facebook dokumentiert, riskiert, dass diese Dokumentation von heute auf morgen dem eigenen Zugriff entzogen sein kann. Doch was sind die Alternativen?
Ein Ansatz, der Allmacht von Facebook entgegenzuwirken, sind sogenannte verteilte oder dezentrale soziale Netzwerke (siehe dazu auch den ausführlichen Artikel in der englischen Wikipedia oder Chaosradio CR168). Ähnlich wie beim Instant-Messaging-Protokoll XMPP („Jabber“) hat hier jeder die Möglichkeit, seinen eigenen Server zu betreiben und damit selbst verantwortlich für Verfügbarkeit und Datensicherheit zu werden.
Die wohl bekannteste Implementierung eines solchen verteilten sozialen Netzwerks ist Diaspora, ein seit April 2010 entwickeltes Projekt im Alpha-Stadium#Alpha-Version) mit zzt. laut Wikipedia rund 370.000 Nutzern. Ein häufig genannter Kritikpunkt an Diaspora ist jedoch die komplizierte Installation, die für den durchschnittlichen Internetnutzer kaum zu bewältigen sein dürfte.
Das Netzwerk friendica hat sich zum Ziel gesetzt, u.a. diesen Punkt anzugehen und wirbt mit einer besonders einfachen Installation: Mehr als einen PHP-fähigen Webserver und eine MySQL-Datenbank braucht man nicht für die Basisversion. Damit kann man sich vergleichsweise einfach seinen eigenen friendica-Server aufsetzen und bleibt damit der Herr über die eigenen Daten. Wer das nicht will, kann sich aber auch auf einem der vielen öffentlichen Friendica-Server wie z.B. MyFriendica einen Account anlegen.
Wenn die Installation und/oder die Registrierung abgeschlossen ist, kann man beginnen, sich mit anderen zu vernetzen. Dabei ist es (sonst wäre das Konzept nur mäßig sinnvoll) möglich, sich mit jedem anderen Friendica-Nutzer, unabhängig vom jeweils verwendeten Server, zu verbinden. Ich habe beispielsweise auf meinem eigenen Server eine Friendica-Instanz eingerichtet, mein Profil ist auf https://nablux.net/profile/tgp verfügbar. Ein anderer Friendica-Nutzer kann dort auf den Button „Verbinden“ klicken und dann durch Angabe seiner eigenen Friendica-ID, z.B. jojo@demo.friendica.com bzw. http://demo.friendica.com/profile/jojo eine Kontaktanfrage stellen. Wenn ich diese Anfrage annehme, können wir im Anschluss „wie bei Facebook“ kommunizieren: uns gegenseitig Nachrichten schicken, auf die Pinnwand schreiben, Fotos teilen etc. Dabei bleibt jedoch der einzelne Nutzer immer im Besitz aller Daten, in den persönlichen Einstellungen lassen sich unter dem Menüpunkt „persönliche Daten exportieren“ alle Daten als JSON herunterladen.
Nun ist in einem sozialen Netzwerk eine kritische Masse an Benutzern immer notwendig, um dort sinnvoll irgendetwas tun zu können. Friendica ermöglicht hier aber auch das Verbinden mit externen Quellen: So kann man beispielsweise
- die Facebook-Freundeliste importieren und Facebook über Friendica verwenden,
- RSS-Feeds als Quelle für Nachrichten hinzufügen,
- Friendica-Posts gleichzeitig auch auf seinem Tumblr- oder WordPress-Account veröffentlichen,
- die notorischen Social-Network-Verweigerer über automatischen E-Mail-Versand mit auf dem Laufenden halten
und vieles mehr. Viele Benutzer scheinen daher Friendica nicht als Alternative zu Facebook & Co. zu sehen, sondern eher als Aggregator und „Social Desktop“. Schließlich kann man das System – auch wenn es, zugegeben, wohl etwas traurig wäre – auch ganz allein nutzen, als Newsreader, E-Mail-Client, Terminplaner und Fotoalbum.
Ein Problem aber, das sogenannten „sozialen Netzwerken“ innewohnt, kann auch Friendica nicht beheben: Wer im Internet freimütig jedem alles erzählt, der muss damit rechnen, dass ihn das später einmal einholt. Wer lustige Bilder von sich hochlädt, um sie anderen zu zeigen, der wird niemals verhindern können, dass diese Personen sie auch Dritten zeigen/weiterleiten/zugänglich machen. Und wer vor lauter social Networking Anstand und Manieren vergisst, dem kann die richtige Software leider auch nicht in den Job zurückhelfen. Friendica kann uns zwar in einem gewissen Umfang vor der Datensammelwut und der Vereinnahmung unserer Daten durch große Konzerne schützen, aber kaum vor uns selbst.
Und um nicht mit diesen düsteren Worten schließen zu müssen: Ich freue mich natürlich über Kommentare, Anregungen oder über Kontaktanfragen über Friendica – denn bei Facebook bin ich immer noch nicht ;-)